Als Show hat wohl schon jeder Asienurlauber Thaiboxen in irgendeiner Weise mitbekommen – in einem Strandrestaurant, in dessen Mitte ein Boxring aufgebaut ist oder in einer Fußgängerzone, wo selbst Touristen schon mal kurz in den Ring steigen dürfen. Unerlässlich bleibt es aber für jeden, der Land und Leute, Kultur und Eigenheiten in Thailand verstehen möchte, echte Muay Thai Wettkämpfe live in einem der großen Stadien Bangkoks mitzuerleben. Dabei sind Zeremoniell und Atmosphäre fast noch spannender als die Kämpfe selbst und begeistern auch nichtkampfsportaffine Weltenbummler.
Bild ganz oben: Khunsuegnoy, THA (red), and Kritpetch, THA (blue), during a competition in Lumpinee stadium, Bangkok; 31/08/2019 – Foto: SCHREYER
Wenn die beiden Kontrahenten die Halle betreten, beginnt der Flötenspieler die Zuschauer einzustimmen, während die Kämpfer den Ring mit Blumenkranz und Kopfschmuck betreten. Die Ahnen sollen so geehrt werden, heißt es. Die Boxer laufen jetzt jeden Quadratmeter langsamen Schrittes, manchmal auch eher tanzend, ab. Jede Ecke wird geehrt, dem Gegner Respekt gezollt, auch den vier Kampfrichtern, bevor die beiden in ihre Ecke gehen und mit dem Trainer kurz meditieren. Die Hände zum traditionellen “Wai” gefaltet, die Augen geschlossen, interagieren die Kämpfer mit ihrem Meister, der dem Aktiven nun Kopf- und Blumenschmuck abnimmt. Das Flötenspiel endet abrupt, der Kampf beginnt.
Muay Thai Sportler tragen keinen Kopfschutz wie Amateurboxer. Ihr einziger Schutz sind Handschuhe und Hodenschutz. Sie dürfen mit allem angreifen und verteidigen: Fäuste, Füße, Knie und Ellbogen. Da selbst Fußfeger erlaubt sind, kommt es mitunter zu spektakulären Szenen. Für Außenstehende mag der Sport brutal anmuten – schließlich gibt es, wie beim Boxen, k.o.-Siege. Dennoch merkt der (nichtasiatische) Besucher schnell, dass hier einiges “anders” abläuft. Kämpfer, die sich auch während der Begegnung freundlich anlächeln oder nach einem Wettkampf in den Armen liegen, sich gegenseitig gratulieren.
Beobachten kann man das Ganze zum Beispiel im (neuen!) Lumpinee Stadion, das etwas außerhalb liegt. Noch braucht man ein Taxi, um nach schier endlosen Staus hinzugelangen oder langsame öffentliche Busse. 2020 soll allerdings die Hochbahn soweit ausgebaut sein, dass man in weniger als einer halben Stunde vom Zentrum aus bis direkt zur Halle fahren kann. Man kann sich vorher mit einem Imbiss stärken, die zahlreichen Kantinen an der Halle bieten offene Verpflegung an – Touristen, die sich nicht verständigen können, deuten einfach auf das, was sie auf ihrem Teller haben möchten. Man sitzt unter Thais. Eintrittskarten gibt es für etwa 12 Schweizer Franken, wenn man einen Stehplatz will, zehnmal mehr legt man hin für einen bequemen Sitzplatz in der ersten Reihe, der an jeder Kasse Touristen als erstes angeboten wird.
Keine leichte Entscheidung, denn auch die (billigen) Stehplätze sind für “Fremde” durchaus attraktiv: nicht nur, weil man Mitten unter Einheimischen das Geschehen verfolgen kann. In den Vorrunden-Kämpfen können sich die Blöcke in reinste Wettarenen verwandeln. Da werden Muay Thai Kämpfe aus anderen Stadien gezeigt, auf die gesetzt werden kann. Die Zuschauer fixieren gebannt den großen Bildschirm, ignorieren fast das Live-Geschehen und heben immer wieder die Hände hoch, um mit der Anzahl der gezeigten Finger den aktuellen Wettstand zu verkünden. Gewinne werden nur Minuten später im Zuschauerblock direkt und bar ausgezahlt. Thaiboxen in Bangkok – ein Erlebnis zwischen Sport und Kultur, Unterhaltung und Tradition.
Thomas Schreyer