VON JUPP SUTTNER // OKTOBER 2022 // Monatelang beherrschte Jesus die Szenerie. Doch jetzt wird er abgelöst – von König Ludwig. Denn: Nach den Passionsspielen 2022 konzentriert sich das Oberammergauer Touristikgeschehen nun auf den König Ludwig-Lauf 2023.
Dies ist einer der berühmtesten Skilanglauf-Wettbewerbe der Welt – eine Institution. Er bildet seit 1968 die einzige deutsche Station in der World Loppet-Serie – dem gewissermaßen Weltcup der Volksskilangläufer(innen).
Termin: 4./5. Februar – ein Wochenende, auf das hin zu trainieren sich lohnt! Am Samstag Skating, am Sonntag Klassisch – jeweils 10 oder 23 oder 50 km zur Auswahl sowie 5 km für Kinder. Höchstteilnehmerzahl seit Worldloppet-Gründung 1968: 3.700 Starter(inne)n im Jahre 1983.
Infos: www.koenig-ludwig-lauf.com , www.worldloppet.com . Quartier: www.ammergauer-alpen.de
Und sollten Sie Arzt oder Apotheker sein – so werden im Rahmen jenes Oberammergauer Wochenendes Ihre Weltmeister ermittelt! Ganz ohne Nebenwirkungen.
2002, 2016, 2020 und 2021 musste die Veranstaltung wegen zu wenig Schnee oder zu viel Corona abgesagt werden. Dieses 22er-Jahr hingegen klappte es wieder mal – und hoffentlich auch 2023. Falls die Angelegenheit jedoch wackelt, müsste die Oberammergauer Tourismus-Crew vielleicht einen Schwur ablegen:
„Lieber Petrus – wenn unser Event stattfinden kann, dann werden wir für Dich Passionsloipenspiele ins Leben rufen!“
Dies ist die Webstartsite von www.koenig-ludwig-lauf.com
Doch von der Zukunft zurück in die Vergangenheit – zu den tatsächlichen Passionsspielen. Denn alle Beteiligten waren sich einig: Ein GROSSER Erfolg, allen Corona- Widerständen zum Trotz die wunderbare Inszenierung auf den Weg gebracht und bis zum Ende durchgezogen zu haben. Hier der Bericht von der Abschluss-Pressekonferenz:
110 Vorstellungen –
und niemals ließ die Intensität nach!
Spielleiter Christian Stückl, Bürgermeister Andreas Rödl, Walter Rutz, Werkleiter des Eigenbetrieb Oberammergau Kultur und Geschäftsführer der Passionsspiele Oberammergau Vertriebs GmbH & Co. KG, sowie der Musikalische Leiter Markus Zwink ziehen eine positive Bilanz aus den 42. Oberammergauer Passionsspielen.
Sechs sogenannte Probespiele, davon zwei nur für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 28 Jahren, 104 reguläre Aufführungen, davon zwei Zusatzspiele. Das ist die Bilanz der insgesamt 110 absolvierten Vorstellungen der 42. Oberammergauer Passionsspiele 2022.
„Für die Gemeinde kann man nur ein äußerst positives Fazit ziehen. Sowohl die Bevölkerung, als auch Wirtschaft, Gastronomie und Einzelhandel haben durch die Passionsspiele und die doch sehr hohe Auslastung profitiert. Gerade nach den schweren Corona-Jahren war dies für viele Betriebe extrem wichtig. Auch die Verschiebung ins Jahr 2022 war genau richtig. Mit Blick auf die anstehende Inflation und deren Auswirkungen haben wir genau den richtigen Zeitpunkt erwischt. Wichtig war auch, dass sowohl das Sicherheits-, als auch das Hygienekonzept sehr gut funktioniert haben und kein Spiel abgesagt oder abgebrochen werden musste.“, fasst Bürgermeister Andreas Rödl die vergangene Spielzeit zusammen.
Rund 412.000 Tickets wurden verkauft und somit eine Auslastung von über 91% erreicht. „Es freut mich einfach, dass wir trotz der schwierigen Zeit die Passion so erfolgreich auf und über die Bühne bringen konnten.“, sagt Walter Rutz, Werkleiter des Eigenbetrieb Oberammergau Kultur und Geschäftsführer der Passionsspiele Oberammergau Vertriebs GmbH & Co. KG.
Rund 30% der Gäste kamen aus dem Ausland, vorwiegend aus den USA und weiteren englischsprachigen Ländern, wie Großbritannien, Kanada, Australien und Südafrika. Es kamen aber auch Gäste aus Skandinavien, Spanien, China, Japan, den Philippinen oder Singapur. 70% der Gäste kamen aus dem deutschsprachigen Raum. Zu den geplanten Passionsspielen 2020 lag die Verteilung noch bei 50% ausländischen und 50% deutschsprachigen Gästen. „Durch die Pandemie und die Verschiebung hat sich die Gästestruktur um 20% von international fremdsprachig auf deutschsprachige Besucher aus der D-A-CH-Region verschoben.“, sagt Walter Rutz.
Die Bühne. Foto: Jupp Suttner
Auch mit dem Feedback der Gäste sind die Verantwortlichen zufrieden. „Der Qualitätsstandard konnte zu 2010 angehoben werden, wir haben eine Kundenzufriedenheit im B2C Bereich von 86%. Die Reklamationsquote lag bei unter 1%“, freut sich der Werkleiter.
Die zum ersten Mal durchgeführten Jugendtage am 7. und 8. Mai 2022 waren ein voller Erfolg. Es konnte laut Rutz eine Auslastung von 75 % erreicht werden, was ca. 6.500 verkauften Karten entspricht. An zwei Tagen hatten Jugendliche und junge Erwachsene die Möglichkeit jeweils ein Probespiel zu stark vergünstigten Preisen zu erleben. Auch das Rahmenprogramm wurde von den Gästen begeistert angenommen. Neben einer Einführung ins Spiel durch Christian Stückl und Diskussionsrunden mit der Spielleitung und Darsteller*innen nach der Vorstellung, gab es auch eine Party.
Die Mitwirkendenzahlen lagen bei insgesamt 1769 und damit unter dem Schnitt von 2020. 647 Frauen und 702 Männer waren an den Passionsspielen beteiligt, dazu kamen noch 420 Kinder (197 Mädchen und 223 Jungen).
„Wir können total zufrieden sein, es hat einen großen inneren Zusammenhalt gegeben, auch während der Proben. Wir haben bei der Mitwirkendenzahl der Erwachsenen von 2020 fast 500 verloren, einige wollten nicht mehr mitmachen, manche konnten nicht mehr mitspielen, da sie sich nicht nochmal eine so lange Zeit freinehmen konnte. Für mich war es spannend, wir haben uns eigentlich gesund geschrumpft. Es war gut, dass es weniger Leute waren. Dadurch, dass bei den Volksszenen, wie zum Beispiel bei der Empörung, weniger Personen auf der Bühne sind, lernt man die Mitwirkenden besser kennen, man ist näher an den Leuten dran.“, sagt Spielleiter Christian Stückl.
Markus Zwink, musikalischer Leiter, ist von der anhaltenden Ernsthaftigkeit und Spielfreude seiner Orchester- und Chormitglieder angetan. „Die Intensität des Singens und Musizierens hat nie nachgelassen. Diese Intensität hat sich auch auf die gemeinsame Zeit hinter der Bühne übertragen und war nach jeder Vorstellung spürbar. Der soziale Zusammenhalt ist wirklich grandios und wahrscheinlich auch ein erheblicher Garant für die konstante Sing- und Spielfreude auf der Bühne und im Orchestergraben.“
„Das Zusammenspiel zwischen Chor und Spielszenen hat viel stärker funktioniert, auch durch das Weglassen des Prologs. Ich glaube auch, dass es einen wahnsinnigen Zusammenhalt in den Garderoben gegeben hat, natürlich hat es auch Streitereien gegeben, aber es ist eigentlich überall gut gelaufen. Ich finde zum Beispiel so eine gute Apostel -Garderobe wie dieses Mal habe ich noch nie gehabt. Der Zusammenhalt ist durch Corona auch gewachsen.“, ergänzt Stückl.
Über seine inhaltliche Arbeit resümiert der Spielleiter: „Ich glaube, dass wir theologisch fast am besten waren. Es ist das erste Mal richtig gelungen mit den jüdischen Organisationen zusammenzukommen. Wir haben mit einem Team in Amerika aus fünf Theologen und Rabbinern zusammengearbeitet. Das Team war hier vor Ort, das American Jewish Committee (AJC) hat Studierende nach Oberammergau gebracht, auch das Ernst-Ludwig-Ehrlich Institut war mit Studierenden hier und wir haben diskutiert. Ich war überrascht, dass ich von der doch strengsten Organisation, dem AJC in New York, den Isaiah Award erhalten habe. Eine wirkliche Auszeichnung für die Arbeit gegen Antisemitismus. Ich glaube wir sind nie an einem Ende. Wir müssen immer weiter daran arbeiten, dass wir ein normales Verhältnis miteinander bekommen.“
„Für die Zukunft können wir uns nur wünschen, dass die kommenden Passionsspiele wieder ‚reibungsfrei‘ geplant und durchgeführt werden können, die Krisen ein Ende nehmen und Frieden einkehrt.“, sagt Rödl. Die nächsten Passionsspiele sind für das Jahr 2030 geplant.
Am 2. Oktober stieg die letzte Vorstellung.
Und wie verlief die erste am 14. Mai?
Hier können Sie es nachlesen – unser Premieren-Bericht vom Frühjahr:
VON JUPP SUTTNER
Kkeine Ahnung, wie es sich mit Mönchen verhält. Ich kann sie nicht mal auf den verschiedensten Biersorten unterscheiden und besitze demzufolge kaum einen Hauch an Ahnung, wer da welchem Orden angehört. Jedenfalls trug der Klosterbewohner, der letzten Samstag vor mir in der Schlange stand, um sein Eintrittsticket für die Premiere der Passionsspiele in Oberammergau vorzuweisen, eine braune Kutte. Vielleicht stammte er ja aus dem nahegelegenen Benediktbeuern. Dort hatten sie früher mal ein eigenes Schwimmbad im Kloster. Es wurde im regionalen Volksmund „Das Zölibad“ genannt.
„Nein“, schüttelte der Security-Checker den Kopf, „da haben sie ein falsches Ticket dabei!“ Der Mönch blickte auf seine Eintrittskarte, bemerkte, dass er nicht jene für den Premieren-Tag eingesteckt hatte und es entfuhr ihm ein spontanes, kräftiges
„KRUZEFÜNFERL !!!!“
Für Nichtkatholiken:
„Kruzefünferl“ war in dieser Situation perfekt.
Denn:
„Kruzefix“ ist zu grob und zu grimmig.
Und „Kruzetürken“ gilt inzwischen als irgendwie rassistisch.
Aber das dazwischenliegende „Kruzefünferl“ – ideal. Und für jenes sind sicherlich auch sehr viel weniger Ave Marias als Sühne zu beten als für ein teuflisches „Kruzefix“. Vielleicht kommt man für Letzteres ja sogar in die Hölle, wenn man mitten im Fluch stirbt und keine Chance besitzt, diesen Fluch noch rasch zu beichten und die Absolution dafür zu erhalten.
Die eben angesprochene Premiere fand wie gesagt letzten Samstag statt. Es war jedoch ein Donnerstagabend, als ich mit Jesus dinierte. Und der darauffolgende Freitagmorgen, als es zu einem gemeinsamen Frühstück mit Pilatus kam. Nein, nicht in einem früheren Leben. Sondern ohne jeglichen Zeitsprung. An einem Ort, an welchem dies jedermensch passieren kann: im bayerischen Oberammergau, zwischen München und Garmisch-Partenkirchen gelegen. Denn: Dort finden alle zehn Jahre die weltberühmten Passionsspiele statt – mit ausschließlich Gemeindemitgliedern als Schauspieler(innen).
Jesus kam damals übrigens, man schrieb Sommer 2019, mit dem Mountainbike, jedoch ohne Latschen, sondern mit New Balance-Turnschuhen. Und verzehrte Roastbeef. Am Ende des Abendmahls hatte er es dann eilig – „ich muss den Sohnemann vom Kindergarten abholen“.
Im darauffolgenden Winter freilich war bei Oberammergaus Hauptrolle die Eile verflogen, denn:
Die für 2020 geplanten Passionsspiele wurden verschoben. Klugerweise nicht auf 2021, sondern gleich auf 2022. Und bis 2. Oktober soll das Stück mit seinen etwa 2.100 sehr professionell auftretenden Laien-Schauspieler/innen – was fast der Hälfte der Gemeindeeinwohnerschaft entspricht – nun über die Bühne gehen. Wobei bereits seit dem Aschermittwoch 2021 ein absolutes Haar- und Bartschneide-Verbot für die Mitwirkenden in Kraft trat. Damit sie äußerlich wirken wie Menschen von vor zirka 2000 Jahren. Da in Bayern die Friseure wegen Corona bereits ab Mitte Dezember 2020 ihre Salons schließen mussten, bestand bereits ein guter Vorlauf an und auf den Charakterköpfen.
Ins Leben gerufen wurden die Passionsspiele im Jahre 1633, als 84 Oberammergauer der Pest zum Opfer fielen. Man gelobte, ein Passionsspiel aufzuführen, falls die Seuche verschwände. Und tatsächlich: sie kehrte von diesem Tag des Gelöbnisses an nicht mehr in dem damaligen 500 Einwohner-Dorf ein. So dass der Vorsatz umgesetzt wurde und 1634 das erste Oberammergauer Passionsspiel mit der Darstellung der letzten fünf Tage in Jesus‘ Leben stattfand.
2020 sollte – wie alle zehn Jahre – die 42. Austragung steigen. Sie stieg nicht. Nur zwei Mal in der fast 400jährigen Geschichte fiel das Spiel aus:
1770 wurde es vom geistlichen Rat des Kurfürsten Maximilian III. Joseph, der das Thema verunglimpft sah, verboten. Es wurde nicht nachgeholt. Wie auch jenes von 1940, ein Jahr nach Beginn des 2. Weltkriegs, nicht.
Und zwei Mal wurde es verschoben, wie Spielleiter Christian Stückl weiß:
„1870 ist der Prolog auf die Bühne gegangen und hat gesagt, ihr müsst nach Hause gehen. Denn heute hat der Krieg gegen Frankreich begonnen.“ Das war bei der 8. Vorstellung, eine Fortsetzung folgte erst 1871.
Und 1920 herrschte in Europa die Spanische Grippe und „sind so viele Leute im Krieg geblieben“, jenem von 1914 bis 1918, „dass man kein Orchester zusammenbrachte. Das wurde dann auf 1922 verschoben.“
Für den Sommer 2020 schließlich wurde „der Stecker am 16. März 2020 gezogen“, so Stückl. „2000 Aerosol-Wölkchen auf der Bühne – es war mir und uns klar, dass wir das verschieben mussten. Nach der Entscheidung war ich 14 Tage lang ausgeknockt.“ Und in Oberammergau selbst habe man monatelang „fast nicht mehr über die Passionsspiele gesprochen – der Schmerz war einfach zu groß.“ Nicht nur der entgangenen und doch sonst so segensreichen Einnahmen wegen. „Als ich damals bei einer Pressekonferenz mitteilen musste“, so Intendant Christian Stückl bei der Premiere 2022 vor vier Tagen, am 14. Mai, in der Pause zwischen den beiden je 150 Minuten langen Spielhälften im VIP-Zelt zu den geladenen Gästen, „hatte ich Tränen in den Augen.“
Irgendwann aber entwickelte sich dann doch noch für 2022 „ein großes Wollen im Dorf und bei den Spielern. Und es war uns klar: Wir wollen das machen – wir haben eine 400jährige Tradition.“ Was auch Jesus und Maria so sahen und ihre Rollen behielten. Zwei Apostel allerdings hatten inzwischen mit dem Studium begonnen, „die konnten nicht zwei Jahre warten“. Es handelte sich, wie er auf JUPPSLETTER-Nachfrage erklärte, „um Bartholomäus und Thaddäus, glaube ich, ich weiß es nicht genau.“ Zwei eingeplante Spieler verstarben, insgesamt gingen 400 Mitwirkende dem Stück(l) verlustig. Doch 2.100 sind verblieben.
Und haben zur Premiere eine grandiose Inszenierung hingelegt.
Unter anderem folgende Proms waren am Samstag bei der Premiere in Oberammergau zugegen (in alphabetischer Reihung):
Ilse Aigner, Herzog Franz von Bayern, Rufus Beck, Ben Becker, Günther Beckstein, Heinrich Bedford-Strohm, Uschi Dämmrich von Luttitz, Mathias Döpfner, Collien Ulmen-Fernandes, Uschi Glas, Monika Grütters, Katrin Habenschaden, Dieter Hallervorden, Dunja Hayali, Reiner Haseloff, Eckart von Hirschhausen, Burghart Klaußner, Charlotte Knobloch, Thomas Kreuzer (leider der Politiker und nicht mein hochgeschätzter Golf-Autoren-Kollege Thomas Kreuzer), Prinzessin Gabriele zu Leiningen, Reinhard Marx, Götz Otto, Frank Plasberg, Andreas Rödl, Josef Schuster, Markus Söder, Andreas Steinfatt, Renate Thyssen-Henne, Udo Wachtveitl, Theo Waigel mit Gattin Irene Epple-Waigel, Markus Wasmeier,
Unsere beiden EXKLUSIV-Fotos von der Premiere zeigen die Star-Köchin Elisabeth Stöckl (oben) und die Star-Autorin Katja Bauroth (unten). Jeweils mit auf das Bild gedrängt hat sich ein – der Redaktion hinreichend bekannter – ADABEI.
Gedanken galt es sich 2021 auch zu machen, welche Bühnenbilder wiederverwendet werden können – und natürlich „die Garderobe-Anpassung: Ist die Wampe gewachsen oder ist sie weniger geworden?“. Grundsätzlich war Stückl zu jenem Zeitpunkt sofort klar, „dass das Passionsspiel 2020 ein anderes geworden wäre, als es 2022 eines wird.“ Und verriet: „Es geht mir um die sozialen Aspekte – das muss stringenter werden.“
Was ausgesprochen gelungen ist, wie die Premiere 2022 am Samstag offenbarte – bei der auch die aktuelle Weltlage erschreckend sich ins Bild drängte, als der Apostel Simon klagte:
„Der Krieg ist ein wildes Tier und zerstampft mit seinen Hufen die Welt!“ Es geht in dieser Szene um die andere Wange, die man hinhalten solle, wenn die eine geschlagen wird.
Die Ukraine hat sich dafür entschieden, sie nicht hinzuhalten. Und Abertausende von rivalisierenden Ländern, Provinzen, Nationen seit Christi Geburt ebenso. Kein Tag vermutlich seit Zeitbeginn (und natürlich ebenso vorher), dass das wilde Tier nicht irgendwo auf der Welt jene Hufe hob. Woraus ersichtlich wird, dass die Passage bedauerlicherweise als zeitlos betrachtet werden muss.
Die Faszination dieses Spektakels ist bis heute ungebrochen. Auch wenn 2022 kein neuer Zuschauerrekord aufgestellt werden wird. Simpler Grund: Die Sitze des Theaters mussten verbreitert werden. Weil viele Amerikaner – die ein Gros der Besucher stellen – „figürlich gegenüber früher so zugelegt haben, dass unsere bisherigen Sitze zu schmal für sie gewesen wären“, wie ein Insider verrät.
Der Satz könnte in seiner Direktheit auch von Stückl (60) selbst stammen, Intendant des Münchner Volkstheaters und als gebürtiger Oberammergauer zugleich seit 1987 Spielleiter sowie seit 1990 Regisseur und absoluter Reformator der Oberammergauer Passionsspiele. Beispielsweise befreite er die Aufführung von antisemitischen Zügen. In vergangenen Jahrhunderten gaben sich die Passionsspiele derart aufstachelnd und anheizend, dass es bisweilen lebensgefährlich war, den Judas in dem Stück darzustellen – ganze Gruppen von Zuschauern schlossen sich zu einem Mob zusammen, der den Darsteller am liebsten gelyncht hätte, diesen jüdischen Verräter des gleichfalls jüdischen Gottessohns. Kein Wunder, dass Hitler bereits die Aufführung 1930 gefiel. Die Extra-Austragung 1934, zum dreihundertjährigen Jubiläum, wurde reklamemäßig vor allem von NS-Propagandaminister Goebbels gepusht.
Stückl, der akkurat am Tag des russischen Einmarsches in der Ukraine einen Herzinfarkt erlitt, sorgte nicht nur für ein Verschwinden des Antisemitismus im Stück, sondern desgleichen dafür, dass inzwischen auch verheiratete Frauen die Rolle der Maria einnehmen dürfen, vergab gleich zum Beginn seiner Tätigkeit einem Protestanten eine Hauptrolle und besetzte 2022 mehrere Hauptrollen mit Oberammergauer Männern muslimischen Glaubens.
Selbst wenn in den nächsten Wochen und Monaten noch Corona-Restbestände da und dort aufflackern sollten – für das Stück und seine Proben befürchtet Stückl keine gravierenden technische Probleme: „Im Passionsspiel gibt es keine großen Liebesszenen. Wir brauchen keine Plexiglaswand zum Küssen.“
Wird schon alles gut gehen bis zur 103. und zugleich letzten Vorstellung am 2. Oktober. Und wird bis dahin nicht noch einmal passieren, was bei der Premiere am Samstag geschah – als man Jesus die Spottkrone verkehrt herum aufsetzte, also mit den Dornen nach unten. Was Darsteller Frederik Mayet als durchaus schmerzhaft empfand.
Als noch schmerzhafter empfinden werden katholische Puristen, dass Jesus bei Stückl kein Heilsverkünder, sondern ein für die Obrigkeiten gefährlicher Sozialrevolutionär ist. Und zudem in seiner Rolle vor allem als Jude (und nicht als erster Christ der Menschheit) auftritt – wozu auch beiträgt, dass er von seinen Jüngern mehrmals mit „Rabbi“ angesprochen wird und das letzte Abendmahl als Pessachfest zelebriert.
Insgesamt:
Einfach erhebend, großartig (auch die Musik!) und fabelhaft – so die Meinung eines Laien-Theaterkritikers (ich) über dieses Laienschauspiel.
Was die professionellen NICHT-Laien- sondern BERUFS-Kritiker zu der Darbietung zu erzählen haben – bitte sehr:
Falls der Link nicht funktioniert, dann einfach bei Google eingeben:
passionsspiele oberammergau premiere kritiken
Hier der offizielle Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=fX0ot1jZEmY
Hier könnt ihr die großartige Musik 2022 hören (gibt es auch als CD):
https://www.youtube.com/watch?v=BTTMhkYythA&list=OLAK5uy_lHDwl9xoirYMiJiQxGQTjd1cznS46Dnjk
Hier erfahrt ihr in einem 2020er-Video ziemlich viel über die Passionsspiele und den Ort überhaupt:
https://www.youtube.com/watch?v=v25FUl0chNg
Falls diese Film-Links nicht funktionieren, dann einfach bei youtube.com eingeben:
passionsspiele oberammergau
Und hier schließlich erfahrt ihr Essentielles über Christian Stückl (BR-Sendung „Lebenslinien“, 44 Minuten):
Infos:
Das Passionstheater besitzt eine Open Air-Bühne mit überdachten Rängen für 4.800 Besucher – Weltrekord. An der jetzigen Stelle steht bereits seit 1830 das Passionstheater, vorher wurde das Drama auf einem Holzgerüst bei der Friedhofsmauer aufgeführt.
Karten und Arrangements inklusive Übernachtungen sind noch direkt beim Veranstalter wie auch bei verschiedensten Agenturen erhältlich. Das beispielsweise 2-Tages-Arrangement (Ticket und 1 Übernachtung/Frühstück sowie 3-Gänge-Menü in der Pause u.a.) ist ab 264 Euro pro Person im DZ erhältlich. Wer keine Übernachtung benötigt: Tickets gibt es je nach Kategorie zwischen 33,60 und 201,60 Euro
Die Inszenierung dauert zirka fünf Stunden, wobei die Hälfte am Nachmittag und die Fortsetzung am Abend aufgeführt wird. Zwischendurch kann man nach der geistigen und intellektuellen Hochspannung auf der Bühne zur nunmehr auch körperlichen Erbauung eines der Oberammergauer Wirtshäuser aufsuchen oder bei einem Herrgottsschnitzer Souvenirs*** erwerben.
Infos: www.passionsspiele-oberammergau.de , www.ammergauer-alpen.de
*** Dazu muss ich euch noch einen uralten bayerischen Witz erzählen:
Amerikanischer Oberammergau-Besucher will einen handgeschnitzten Christus am Kreuz erwerben.
Der einheimische Herrgottschnitzer überreicht ihm einen.
Der Amerikaner: „Oooh, good . aber ein bisschen leidändär!“
Der Herrgottsschnitzer schnitzt an Jesus ein wenig herum und reicht ihm dann dem Interessenten.
„Ooooh, good“, sagt der Amerikaner, „aber noch ein bisschen leidändäär!“
Der Herrgottsschnitzer schnitzt erneut an Jesus herum – und stellt plötzlich fest: „Um Goodswuin – jetzt lacht aa…“ (Um Gotteswillen – jetzt lacht er.)
Dies ist das offizielle Plakat (Copyright Passionsspiele Oberammergau).
Den Lichtschein von rechts habe ich selbst per Fotobearbeitung hinzu-
gefügt – damit es ein bisschen hoffnungsvoller dünkt. Unter dem Motto:
„Always look on the bright side of life“ – aus „Das Leben des Brian“.